Makroökonomische Hausmeinung – Juni 2023
Das Wichtigste auf einen Blick
- Rund 3 % globales Wachstum als Basisszenario – keine Rezession in naher Zukunft
- Zentralbanken nähern sich dem Ende des Straffungszyklus – Lockerung aber noch nicht in Sicht
- Denn: Kerninflation noch lange nicht im Bereich der geldpolitischen Zielsetzung
Globaler Ausblick
Die Weltkonjunktur hat sich als deutlich widerstandsfähiger erwiesen als erwartet. Das "No-Landing"-Szenario eines verlängerten Konjunkturzyklus hält sich angesichts uneinheitlicher Wirtschaftsdaten und hoher Unsicherheiten hartnäckig. Die verzögerte Wirkung der geldpolitischen Straffung, die anhaltend hohe Inflation und die restriktiveren finanziellen Bedingungen deuten jedoch auf ein langsameres Wachstum hin. Sofern weitere externe Schocks ausbleiben, dürften die großen Volkswirtschaften jedoch in der Lage sein, eine schwere Rezession in naher Zukunft zu vermeiden.
Unser Basisszenario für 2023 sieht für die Weltwirtschaft ein Wachstum von leicht unter 3 % vor. Während die Industriestaaten vor Quartalen mit niedrigem Wachstum stehen, werden die Beiträge Chinas und der Schwellenländer unterstützend wirken. Bei den Softdaten gab es in der ersten Jahreshälfte bereits eine Trendwende zum Positiven. Zum einen beim Verbrauchervertrauen, das sich von einem niedrigen Niveau aus verbessert hat und zum anderen bei den Frühindikatoren im Dienstleistungssektor. Ein stabiler Arbeitsmarkt, ein nach wie vor gesunder Konsum, anhaltende Fiskalmaßnahmen sowie der Rückgang der Inflation stützen die Konjunktur. Die Reaktion der Behörden auf die US-Regionalbankenkrise hat zwar eine systemische Krise verhindert, aber höhere Finanzierungskosten und strengere Kreditvergabestandards belasten das Wirtschaftswachstum in den kommenden Quartalen. Auch die Expansion in China verliert aktuell an Schwung.
„Allen Widrigkeiten zum Trotz hat sich
die Weltkonjunktur als deutlich widerstandsfähiger erwiesen
als noch zu Beginn des Jahres erwartet.“
Michael Blümke
Nach dem aggressivsten Straffungszyklus der letzten Jahrzehnte zeigt der Kampf gegen die Inflation Wirkung. Die Gesamtinflation hat ihren Höchststand erreicht und befindet sich in einem klaren Abwärtstrend. Die Kerninflation bleibt jedoch in vielen Regionen zu hoch und könnte sich verfestigen. Da der Preisdruck in Bereichen wie Löhne, Mieten und Dienstleistungen anhält, müssen die Zentralbanken wachsam bleiben. Das Ende der geldpolitischen Straffung rückt zwar näher, aber das Ziel ist noch nicht erreicht. Nach der Verringerung des Zinserhöhungstempos werden die Zentralbanken in den Industriestaaten in der zweiten Jahreshälfte eine Pause einlegen und die Auswirkungen ihrer Politik bewerten. Sollte der Rückgang der Gesamtnachfrage nicht ausreichen, um die Inflation in absehbarer Zeit auf das 2 %-Ziel zu senken, könnte dies zu einer weiteren Straffung der Geldpolitik mit den entsprechenden Konsequenzen für die Wachstumsprojektionen führen.
USA
Die US-Wirtschaft ist im ersten Quartal um 2 % q/q gewachsen und hat sich im zweiten Quartal stabilisiert. Die verzögerte Wirkung der Geldpolitik und strengere Kreditvergabestandards werden wahrscheinlich zu einem langsameren Wachstum führen, aber es gibt keine Anzeichen für eine bevorstehende Rezession. Auf dem Arbeitsmarkt herrscht Vollbeschäftigung, aber die Nachfrage nach Arbeitskräften lässt in vielen Sektoren nach. Übermäßige Lohnerhöhungen halten sich in Grenzen. Die privaten Einkommen und Ausgaben sind nach wie vor gesund. Vor dem Hintergrund einer rekordtiefen Arbeitslosigkeit ist ein Aufwärtstrend beim Verbrauchervertrauen zu beobachten. Das Konsumverhalten ist weiterhin stark, da die während der Pandemie angesammelten Ersparnisse immer noch genutzt werden können. In zinssensiblen Sektoren wie dem Immobiliensektor hat eine deutliche Abschwächung stattgefunden. Hinweise darauf, dass die US-Wirtschaft in diesem Jahr langsamer wachsen wird, finden sich im Abwärtstrend der Industrieproduktion, der Unternehmensinvestitionen und den Frühindikatoren für das verarbeitende Gewerbe. Nach dem aggressivsten Straffungszyklus der letzten 40 Jahre hat die US-Notenbank ihr Ziel, die Gesamtnachfrage zu bremsen, teilweise erreicht und ist vorsichtiger und datenabhängiger geworden. Auch wenn die Inflation mit der Verlangsamung des Wirtschaftswachstums zurückgegangen ist, bleibt der zugrunde liegende Preisdruck, insbesondere im Dienstleistungssektor, zu hoch. Im Juni hat die Fed keine weitere Zinserhöhung durchgeführt, um die Auswirkungen ihrer restriktiveren Politik zu beobachten. Ihr rasches und entschlossenes Handeln hat der Fed einen gewissen Spielraum verschafft, um innezuhalten und später über den Kurs der Politik zu entscheiden. Ihre eigenen Wirtschaftsprognosen deuten jedoch darauf hin, dass diese Pause nur kurz sein könnte. Zinssenkungen sind vorerst kein Thema und bei einer Verlängerung des Konjunkturzyklus, inkl. hartnäckig bleibender Inflation, wird die Fed nicht zögern, ihren Straffungskurs wieder aufzunehmen. Aus unserer Sicht ist die Fed unter den westlichen Zentralbanken am besten positioniert, um der Wirtschaft eine weiche Landung zu ermöglichen.
Eurozone
Die Wirtschaft der Eurozone hat sich als erstaunlich widerstandsfähig erwiesen. Die restriktivere Geldpolitik und der Rückgang des real verfügbaren Einkommens führten jedoch zwischen dem letzten Quartal 2022 und dem ersten Quartal 2023 zu einer technischen Rezession. Ein stabiler Arbeitsmarkt, fiskalische Unterstützung und der Rückgang der Gesamtinflation trugen dazu bei, einen tieferen Abschwung zu verhindern. Die Verbraucherstimmung hat sich in der ersten Jahreshälfte gegenüber den Tiefstständen im vergangenen Winter deutlich verbessert. Der Arbeitsmarkt ist nach wie vor robust, und die Umfragen zur zukünftigen Wirtschaftstätigkeit deuten auf eine Expansion hin, die ähnlich wie in den USA hauptsächlich durch die Erholung des Dienstleistungssektors unterstützt wird. Die jüngsten Daten zeigen jedoch, dass die Dynamik nachlässt und die mittelfristigen Aussichten schwierig bleiben. Die Wirtschaft der Eurozone ist nach wie vor anfällig. Die Produktivität ist schwach, das verarbeitende Gewerbe bricht ein, der Immobiliensektor steht unter Druck und die Kreditvergabestandards haben sich erheblich verschärft. Obwohl der Preisdruck in der Eurozone deutlich nachgelassen hat, ist die Kerninflation angesichts steigender Inflationserwartungen und rasch steigender Löhne weiterhin zu hoch. Trotz der aggressiven Straffung der Geldpolitik liegen die Realzinsen immer noch tief im negativen Bereich. Da die EZB ihre Politik erst später als die Fed gestrafft hat, muss sie ihren restriktiven Kurs noch länger beibehalten. Ob es ihr gelingen wird, die Inflation auf 2 % zu senken, ohne eine Rezession auszulösen, ist allerdings fraglich. Höhere Zinsen in Verbindung mit strengeren Kreditstandards und anhaltender Inflation werden die Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft im Euroraum auf die Probe stellen. Damit könnte das zweite Halbjahr durchaus schwächer ausfallen als erwartet.
China
Chinas Führung hat für 2023 ein BIP-Wachstumsziel von "etwa 5 %" festgelegt. Während dieses Ziel zu Beginn des Jahres noch als relativ konservativ angesehen wurde, ist es wahrscheinlich, dass die Behörden weitere gezielte fiskal- und geldpolitische Unterstützungsmaßnahmen ergreifen müssen, um dieses Ziel zu erreichen. Nur dank der starken politischen Unterstützung konnte sich die Wirtschaft im ersten Quartal dieses Jahres mit einem BIP-Wachstum von 4,5 % kräftig erholen. Treibende Kraft war der Konsum, der im ersten Quartal zweistellig zulegte. Angesichts der Unterstützung durch politische Maßnahmen und zahlreicher Infrastrukturprojekte erholte sich der Dienstleistungssektor rasch und der Bausektor stabilisierte sich. Die Erholung verlor im zweiten Quartal jedoch an Schwung, da Anlageinvestitionen schrumpften, die internationale Nachfrage nachließ und die Arbeitslosigkeit weiterhin hoch blieb. Hinzu kommt, dass sich das verarbeitende Gewerbe im Abschwung befindet, die Kreditvergabe nur zögerlich ausgeweitet wird, die Importe rapide zurückgehen und das Preisniveau sinkt. Nichtsdestotrotz dürfte die Erholung in China die Gesamtnachfrage ankurbeln und die nachlassende Dynamik der Weltwirtschaft abfedern. Die Erholung wird jedoch immer unsicherer und der Ausblick wird durch die geopolitischen Spannungen mit dem Westen bedroht.
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